In der Traumapädagogik begegnen mir immer wieder Menschen, die nach überwältigenden Erfahrungen unter den körperlichen und emotionalen Nachwirkungen von Trauma leiden. Ein vielversprechender Ansatz, der zunehmend Beachtung findet, ist das neurogene Zittern – eine natürliche, oft missverstandene Reaktion des Körpers auf Stress und Trauma, die ich als neurogene Selbstregulation verstehe. Diese hat weit mehr und subtilere Erscheinungsformen als nur Zittern.Doch was genau steckt dahinter, und wie kann es uns in der Begleitung von traumatisierten Menschen helfen?
Was ist neurogenes Zittern bzw. neurogene Selbstregulation?
Neurogenes Zittern ist eine spontane, unwillkürliche Körperreaktion, die häufig nach einer stressigen oder traumatischen Erfahrung auftritt. Es kann sich dabei um eine Art „Zittern“ oder „Schütteln“ handeln, das durch das autonome Nervensystem ausgelöst wird. Es wurde vor allem durch die Arbeit von David Berceli (Tension and Trauma Releasing Exercises, TRE) und Peter Levine (Somatic Experiencing) bekannt gemacht.Das neurogene Zittern dient dem Körper dazu, überschüssige Energie, die während des Traumas mobilisiert wurde, abzubauen und das Nervensystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Dieses Phänomen ist tief in unserer Biologie verankert. In der Tierwelt beobachten wir ähnliche Reaktionen bei Wildtieren, die nach einer Bedrohung zittern oder sich schütteln, um Stress abzubauen. Menschen hingegen neigen dazu, diese natürliche Reaktion zu unterdrücken, sei es aus Scham, Angst oder dem Wunsch, „die Kontrolle zu behalten“.
Die Rolle des autonomen Nervensystems
Das autonome Nervensystem (ANS) ist entscheidend, um neurogenes Zittern bzw. neurogene Selbstregulation zu verstehen. Es besteht aus zwei Hauptkomponenten:
Sympathikus
Aktiviert bei Gefahr oder Stress die „Kampf- oder Fluchtreaktion“. Herzschlag, Atmung und Energie steigen, um auf die Bedrohung zu reagieren.
Parasympathikus
Verantwortlich für Entspannung und Regeneration. Er bringt den Körper nach Stress in einen Zustand der Ruhe zurück.
Traumatische Erlebnisse können das ANS aus dem Gleichgewicht bringen, was oft zu chronischer Übererregung (Hyperarousal) oder einem Zustand der Lähmung (Hypoarousal) führt. Das neurogene Zittern bzw. die neurogene Selbstregulierung hilft, diese dysregulierten Zustände zu entladen und den Weg für Heilung zu ebnen.
Wie zeigt sich neurogene Selbstregulation bzw. neurogenes Zittern in meiner Arbeit als Traumapädagogin?
In meiner Arbeit als Traumapädagogin begegne ich dem Phänomen der neurogenen Selbstregulation häufig – nicht immer in Form eines ausgeprägten Zitterns, sondern oft als subtilere körperliche Reaktionen, die ebenfalls zum Prozess der Selbstregulation gehören.
Jin Shin Jyutsu, eine sanfte, ganzheitliche Körperarbeit, spielt dabei eine zentrale Rolle. Während einer Behandlung können sich Blockaden auf natürliche Weise lösen, ohne dass Klient:innen bewusst verstehen müssen, was gerade verarbeitet wird. Der Körper übernimmt die Regulation von selbst und äußert dies oft durch körperliche Zeichen wie:
Muskelzucken: Feine oder stärkere Zuckungen, die spontan auftreten und anzeigen, dass Spannungen abgebaut werden.
Gähnen: Ein Zeichen dafür, dass der Parasympathikus aktiviert wird und der Körper in einen Zustand der Entspannung wechselt.
Magengrummeln: Ein Hinweis darauf, dass das Verdauungssystem – oft durch Stress blockiert – wieder in Gang kommt, was auf eine tiefgehende Entspannung hindeutet.
Weitere neurogene Selbstregulationen: Diese können sich auch in Form von Seufzen, einem Gefühl der Leichtigkeit oder einem spontanen Lächeln zeigen, ohne dass dies bewusst gesteuert wird.
Diese sanften und oft unscheinbaren Prozesse sind von unschätzbarem Wert. Sie zeigen, dass der Körper sich eigenständig von alten Belastungen befreit, ohne dass wir darüber sprechen oder etwas rekonstruieren müssen. Es geht darum, dem Körper Raum zu geben, seine eigene Weisheit zu entfalten und Blockaden aufzulösen, die vielleicht über Jahre unbemerkt bestanden haben.
Als Traumapädagogin und Jin Shin Jyutsu-Praktikerin ist es meine Aufgabe, ein sicheres und achtsames Umfeld zu schaffen, in dem diese Prozesse geschehen dürfen. Ich begleite diese Veränderungen wertschätzend, ohne zu bewerten, und ermögliche meinen Klient:innen, diese tiefe, oft unbewusste Entspannung und Heilung zu erfahren.
Wie unterstützt neurogenes Zittern die Heilung?
Regulation des Nervensystems
Neurogenes Zittern bzw. neurogene Selbstregulation hilft dem Körper, sich aus der chronischen Übererregung oder Starre zu lösen. Es ist ein natürlicher Weg, um das ANS neu zu regulieren und einen Zustand der Sicherheit herzustellen.
Abbau von gespeicherter Energie
Während eines Traumas wird Energie im Körper gespeichert, die nicht genutzt werden konnte, etwa wenn Flucht oder Kampf unmöglich waren. Das Zittern setzt diese Energie frei und beugt dadurch körperlichen und emotionalen Blockaden vor.
Förderung von Selbstwirksamkeit
Wenn Klient:innen erleben, dass ihr Körper in der Lage ist, sich selbst zu regulieren, stärkt dies das Vertrauen in die eigenen Ressourcen. Dies ist ein zentraler Baustein der Traumapädagogik.
Verbesserung von Resilienz und Wohlbefinden
Studien und Erfahrungsberichte zeigen, dass regelmäßige Sitzungen mit Jin Shin Jyutsu oder somatischen Körperübungen, die das neurogene Zittern bzw. die Selbstregulation unterstützen, Stress abbauen, Schlaf verbessern und die allgemeine Lebensqualität steigern können.
Wichtige Prinzipien für die Arbeit mit Trauma
Sicherheit schaffen: Klient:innen sollten in einem sicheren, geschützten Umfeld arbeiten, in dem sie sich wohlfühlen und nicht beurteilt werden.
Achtsamkeit und Präsenz: Traumapädagog:innen begleiten den Prozess aufmerksam und respektvoll, ohne zu drängen oder zu kontrollieren.
Psychoedukation: Das Verständnis für neurogenes Zittern hilft Klient:innen, die Reaktion ihres Körpers zu akzeptieren und aktiv in den Heilungsprozess einzubringen.
Individuelle Anpassung: Nicht jeder Mensch reagiert gleich. Es ist wichtig, den individuellen Bedürfnissen und Grenzen der Klient:innen gerecht zu werden.
Fazit
Neurogenes Zittern ist ein faszinierender, kraftvoller Selbstregulierungsmechanismus des Körpers, um Traumafolgen zu lindern und das Nervensystem zu regulieren. In meiner Arbeit als Lern- und Traumacoach bietet es eine wertvolle Möglichkeit, mit Werkzeugen wie Jin Shin Jyutsu Klient:innen dabei zu unterstützen, ihre innere Balance wiederzufinden und ein Gefühl von Sicherheit und Selbstwirksamkeit aufzubauen. Indem wir dieses natürliche Phänomen wertschätzen und gezielt fördern, öffnen wir Türen zu einer ganzheitlichen Heilung – auf körperlicher, emotionaler und seelischer Ebene.
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